Als Maya auf der Toilette sitzt und pinkelt, hört sie einen Schlüssel in der Wohnungstür. Tim kommt zurück.
«Bin wieder da», ruft er.
«Freut mich. Ich war gerade dabei, mir Gedanken zu machen», antwortet Maya durch die angelehnte Badezimmertür. «Wie lief es?»
«Es ging. Nicht mehr, nicht weniger.»
«Ich bin gleich bei dir.»
Tim zieht umständlich seine Jacke aus, entfernt den Mundschutz, nimmt seinen Gehstock, hinkt in die Küche und legt eine Papiertüte neben den Herd. Während Maya sich abschminkt, hört sie Geräusche aus der Küche. Tim stellt eine Pfanne auf den Elektroherd und gibt Öl hinein, bevor sie ganz heiß ist. Er wartet, bis sich an dem Holzlöffel, den er in die heiße Flüssigkeit steckt, kleine Bläschen bilden. Er nimmt ein Steak aus der Tüte, salzt es von beiden Seiten und legt es in die Pfanne. Zwei Blätter Haushaltspapier dienen als Spritzschutz. Fast 300 Gramm rotes Fleisch, durchzogen von Fett, beginnen zischend und spritzend den Garvorgang. Maya kommt in die Küche und beobachtet ihn entsetzt. «Was wird das?», keift sie.
«Steak. Ich hatte Hunger.»
«Dann musst du Fleisch essen? Bist du bescheuert?»
«Ich bin gerade bei Kammertöns vorbeigekommen und habe die Werbung für das Angebot der Woche gesehen. Da habe ich spontan Lust darauf bekommen. Ist schon ewig her, dass ich mir mal ein Steak gegönnt habe.»
«Du musst es ja dicke haben.» Maya kann ihre Empörung nicht verbergen.
«Komm mal wieder runter. Es war im Angebot, wie gesagt. Weniger als zwanzig Euro pro Kilo. Das ist echt preiswert. So viel leiste ich mir in der letzten Zeit schließlich nicht. Medikamente und Rezeptgebühren würde ich jedenfalls nicht in der Rubrik „sich etwas leisten“ aufführen.»
«Du weißt aber, dass ich es eklig finde, wenn du in meiner Pfanne und
meiner Küche Fleisch brätst? Der Gestank ist widerlich.»
«Ich kann damit leben, und dir bleibt gerade nichts anderes übrig.»
«Dir scheint es wirklich wieder besser zu gehen, wenn der alte Egoismus durchkommt. Sieh zu, dass die Pfanne nachher wie neu ist. Sonst gibts Ärger. Heftig. Und lüfte gefälligst die Wohnung. Mir wird jetzt schon ganz schlecht, wenn ich daran denke, dass hier morgen überall kaltes Fett zu riechen sein wird.»
«Dann geh doch raus.»
«Super Idee. Wenn ich mich richtig erinnere, ist das hier allerdings meine
Wohnung.»
«Meine Güte. Es ist nur ein Steak. Mach kein Drama draus. Freu dich doch, dass ich mal wieder richtig Appetit habe.»
«Darüber, dass jemand Fleisch ist, werde ich mich niemals freuen. Schon gar nicht, wenn es ein Sonderangebot ist.»
«Es kann aber doch auch nicht immer nur um dich gehen.»
«Immer nur um mich? Du hast wohl nicht alle Latten am Zaun? Wenn du das Stück tote Kuh in dich reingestopft hast, solltest du dir Zeit nehmen, um über das nachzudenken, was du von dir gibst.»
Sie nimmt ihren Rechner vom Tisch und wechselt erbost ins Schlafzimmer. Glücklicherweise kann sie dort die Tür fest hinter sich schließen.
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