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Meditieren

«Wie du meinst.» Tim zieht sich beleidigt ins Wohnzimmer zurück. Maya bleibt in der Küche sitzen, um nachzudenken. Bevor ihre Gedanken noch dunkler werden, entschließt sie sich, zu meditieren. Sie hat vor vielen Jahren angefangen, sich mit dem japanischen Buddhismus zu beschäftigen und so zum Zazen gefunden. Meditation hat ihr in Krisensituationen immer wieder dabei geholfen, den Kopf freizubekommen. Oft genug hat es aber auch nicht ausgereicht.

In ihrem Schlafzimmer hat sie einen kleinen Altar errichtet. Dessen Mittelpunkt bilden vier Kerzen, die von zahlreichen Dingen umgeben sind, die sie beruhigen. Es sind vor allem Steine und Muscheln, die sie im Laufe der Jahre gefunden hat. Mit jedem dieser Gegenstände hängt eine angenehme Erinnerung zusammen. Ungewöhnlich für einen Meditationsaltar ist das Arrangement aus Pfeffer- und Salzstreuer auf einer schmalen Cromargan-Platte. Aber selbst das verbindet sie mit einem schönen Abend. Sie hat die Gewürze vor vielen Jahren in Spanien in einem Restaurant geklaut. Zur Strafe, weil der Kellner sie und ihren Begleiter hochnäsig bedient und sie hatte spüren lassen, dass er Deutsche nicht ausstehen konnte.

Maya zieht die Vorhänge an den beiden Dachfenstern zu, zündet die Kerzen an und holt ihr Zafu-Kissen unter dem Bett hervor. Mit diesem ist ebenfalls eine positive Erinnerung verbunden. Sie hat es von ihrer Schwester zum Geburtstag geschenkt bekommen. Es steht symbolisch für eine kurze Phase, in der Dörte aufrichtigen Anteil an Mayas Leben genommen hatte. Eines der wenigen Geschenke von einem Familienmitglied, das wirklich von Herzen kam.

Maya beginnt jede Meditation mit dem Gassho: Sie legt die Handflächen vor der Brust aneinander, verneigt sich zunächst in Richtung des Zafu, dreht sich um und verneigt sich vor ihrem Altar. Dann geht sie rückwärts, nimmt auf dem Kissen Platz und pendelt sich in die ideale Position. Dank jahrelanger Übung fällt es ihr leicht, den Lotussitz einzunehmen und die Wirbelsäule gerade zu halten. Sie lockert ihre Kiefer- und Gesichtsmuskeln und legt dann die geschlossenen Fäuste mit der Innenseite nach oben auf ihre Knie.

Sie meditiert mit offenen Augen. Sie stellt ihre Pupillen auf die Flammen der vier Kerzen scharf versucht, sich auf das abwechselnd kühlende und wärmende Gefühl beim Ein- und Ausatmen zu konzentrieren. Anfangs beherrschen der Arbeitsplatzverlust und Tims Gesundheit ihre Gedanken. Nach einigen Minuten hat sie ihren Rhythmus aber gefunden und kann dem Atmen ihre volle Aufmerksamkeit widmen. Eine Dreiviertelstunde später ertönt der Gong einer Klangschalenuhr, die sie sich eigens zum Meditieren angeschafft hat.