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Tavlarspiel

Jetzt bin ich aber voll.» Maya legt die Gabel zur Seite und stöhnt.

«Du hattest ja auch mindestens zwei Dutzend Oliven.»

«Mit Knoblauchstücken.»

Samira nickt zustimmend.

«Und Petersilie.»

Samira nickt erneut.

«Und Olivenöl. Das allein hätte für zwei Mahlzeiten gereicht.»

«Is klar.»

«Und Fladenbrot.»

«Eine halbe Handvoll.»

«Außerdem hatte ich heute Nachmittag einen Salat. Ich weiß gar nicht, wo ich das alles gelassen habe.»

«Du vergisst die beiden Gläser Wein.»

«Stimmt. Das erklärt, warum ich mich fühle, als würde ich gleich platzen. Du kannst dich ruhig selbst überzeugen.» Maya hebt ihr Shirt bis über den Bauchnabel an und präsentiert ihren Bauch.

«Lass gut sein. Die Botschaft ist angekommen», sagt Samira, als Maya deren Hand nehmen und auf ihren Bauch legen will.

«Wie wäre es, statt weiter zu essen, mit ein paar Partien Tavlar?»

«Gute Idee. Beim letzten Mal habe ich dich in Grund und Boden gespielt. Du hast also noch eine Revanche offen.»

Samira stellt Teller und Schälchen auf ein Tablett und trägt es in die Küche. Auf dem Rückweg bringt sie ein reich verziertes Tavlarspiel mit. «Bau auf», sagt sie und schenkt Maya und sich selbst ein weiteres Glas Wein ein. «6:5 würde ich nicht unbedingt in Grund und Boden spielen nennen.»

«Ich schon. Kommt schließlich nicht allzu oft vor, dass ich gegen dich gewinne.»

Sie spielen Runde um Runde, leeren dabei noch das ein oder andere Glas. Glück und Pech sind bei beiden gleich verteilt, sodass es schließlich wie beim letzten Mal unentschieden fünf zu fünf steht. In der Entscheidungspartie hat Samira Maya fast in die Enge getrieben. Sie hat soeben einen zweiten von Mayas Steinen geschlagen und die ersten fünf Zungen mit ihren Steinen besetzt. Über Zunge Nummer sechs könnte Maya ihre beiden Steine wieder von der Bar aufs Spielfeld bringen.

«Hab dich», grinst Samira.

«Träum weiter.»

«Du weißt, dass du einen Sechserpasch brauchst? So viel Glück hat keiner.»

«Ich schon.» Maya würfelt tatsächlich einen Sechserpasch und kann die beiden Steine auf die freie Sechs setzen.

«Pa. Wird trotzdem nicht reichen.»

«Wette lieber nicht.»

«Ich bin Muslima. Ich darf nicht wetten.»

«Saufende Muslimas dürfen auch wetten.»

«Red nicht, sonst hole ich mein Kopftuch. Dann siehst du, wie religiös ich bin.»

«Das von unserem Trip nach Andalusien? Mit den Totenköpfen?»

«Ich habe kein anderes.»

«Lass stecken. Ich glaubs dir auch so.»

Sie spielen die Partie zu Ende. Samira gewinnt. «Hätte ich mal gewettet», meint sie.

«Meine Glückssträhne ist zu Ende.» Maya deutet an, dass sie sich Tränen wegwischt. «Wir sollten besser aufhören. Ich muss auch dringend ins Bett.»

«Wenn du magst, kannst du hier übernachten», schlägt Samira vor.

«Besser nicht.» Maya steht auf, zieht leicht schwankend ihre Jacke über, verabschiedet sich mit den traditionellen Wangenküssen von Samira und verlässt das Haus. Als sie ihr Fahrrad abketten will, fällt es ihr schwer, die richtigen Zahlen einzustellen. Sie kichert, weil ihr auffällt, dass sie womöglich doch ein oder zwei Glas Wein zu viel hatte. Gut, dass Samira sich schon als Jugendliche komplett von der Religion verabschiedet und ihre Freude an alkoholischen Getränken entdeckt hatte. Damit machen Abende wie dieser beiden deutlich mehr Spaß. Schließlich gelingt es Maya, die Kette zu lösen. Aber das Aufsteigen bringt die nächsten Probleme: Nachdem sie es zweimal versucht hat, beide Male aber fast umgefallen wäre, entschließt sie sich, ihr Zweirad zu schieben. Sie blickt zu Samiras Wohnung hoch. Ihre Freundin steht am Fenster und lacht. Maya zeigt ihr den Mittelfinger, deutet mit dem Zeigefinger das Durchschneiden der Kehle an und begibt sich schwerfällig auf den Heimweg.


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